Sehnsucht Rom – Rom als Fluchtpunkt der Freiheit
Unter dem Eindruck der Schriften Winckelmanns wurde Rom mit seinen Zeugnissen der antiken Vergangenheit zum idealen Ziel der im 18. Jahrhundert aufkommenden Bildungsreise. Rom wurde zu einem Ort des zeitweiligen Ausstiegs aus gewohnten gesellschaftlichen Bindungen – einem Ort, so Goethe, „um vor der Welt unterzutauchen“. Neben distinguierten Bürgerlichen waren die Reisenden zum grössten Teil Adelige, die sich meistens in den Gasthäusern um den Spanischen Platz, dem traditionellen Fremdenviertel, einmieteten, wo auch viele Künstler wohnten. Nicht nur räumlich, auch in der Lebensführung rückte man näher zusammen. In Rom ging man privaten Bildungsinteressen nach und regenerierte zwischen antiken Ruinen, Zeugnissen der „freiheitlichen“ Wurzeln der abendländischen Kultur, von ständisch-repräsentativen Verpflichtungen.
Für jeden jungen Künstler, der jenseits des traditionellen Kunst- und Akademiebetriebes seinen Weg finden wollte, war Rom seit dem späteren 18. Jahrhundert das ersehnte Ziel. Viele der Künstler aus dem Norden, die mit dem Stipendium einer fürstlichen Akademie in die Ewige Stadt gekommen war, blieben zeitlebens in Rom, statt in der Heimat eine finanziell abgesicherte Hofkünstlerstelle anzunehmen. Sie zogen ein wirtschaftlich zwar risikoreiches, dafür aber von obrigkeitlicher Bevormundung freies und künstlerisch ungebundenes Leben vor, statt daheim Aufgaben fürstlicher Prachtentfaltung zu dienen.
Die Kolonie der Künstler aus dem Norden, die sich zu einem großen Teil aus Deutschen zusammensetzte, wurde schon vor 1800 als „römische Künstlerrepublik“ bezeichnet.
Anders als in Frankreich, wo sich das Bürgertum politische Rechte erstritt, fanden die Deutschen im eigenen Land mit seinen vielen Teilstaaten kein Zentrum der politischen und geistigen Auseinandersetzung. Man gewinnt fast den Eindruck, als hätten sie dieses nach Rom verlegt. Um 1800 traf man dort viele ihrer Zeit vorausdenkende Persönlichkeiten an. Der Künstlerstaat wurde zu einem Experimentierfeld unkonventioneller gesellschaftlicher und künstlerischer Formen.
Klassizisten: Reinhart, Koch, Thorvaldsen
Neben dem dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen waren in der Zeit des reifen Klassizismus Joseph Anton Koch und Johann Christian Reinhart zentrale Figuren des Künstlerstaates. Ihnen ging es um die Entwicklung einer Kunst, die statt sinnlich zu entrücken, wie das höfische Barock, an den „aufgeklärten Verstand“ appelliert. Die Kunst sollte jetzt geistig und sittlich bilden. Ihr Stilmittel wurde die von illusionistischer Wirkung befreite Linie, die zuallererst den „bildenden Gedanken“ des Künstlers umreißt. Mit Ihrem klaren Linienstil wollten sie in ihren Werken jenen von Winckelmann beschworenen Ausdruck „stiller Würde“ des Menschenbildes der Antike aufscheinen lassen, in dem die Zeitgenossen die Vision einer durch die Kultur des Verstandes begründeten humanen Gesellschaft gespiegelt sahen.
(Dr. Ursula Peters; Germanisches Nationalmuseum)